Die
Armut der Kommunen stellt zunehmend einen ihrer Kernaufträge, unterschiedliche
ökonomische Leistungsstärken ihrer Privathaushalte mit entsprechenden Teilhabe-
und Bildungschancen auszugleichen, in Frage. Ebenso leiden die Städte durch
Verlust von Entwicklungsakteuren mit zeitlicher Kontinuität und örtlicher
Obligation zugunsten von Partialinteressen an abnehmender Integrations- und
Bindungskraft.
- Die daraus resultierende
Fragmentierung der Stadtgesellschaften zeigt sich in
- Vergrößerung
der Randseiterbereiche/des Prekariats
- Anstieg
nur temporärer Arbeitsverhältnisse/Zunahme „schillernder Berufsbiographien“
- Zerfall
der Gesellschaft in Alte/Junge, Arme/Reiche, Deutsche/Ausländer, Familien
mit/ohne Kinder, Kranke/Gesunde
- zunehmender
Segregation innerhalb der Stadtgesellschaft und Verinselung verschiedener
Wohnquartiere mit unterschiedlichen Lebensstilen
- mangelnder
Integrationskraft zur Bewältigung von
Interessenskonflikten bei Projekten der Stadtentwicklung
- Auswege
liegen in
- besserer
Finanzausstattung der Kommunen im Wege des staatlichen Finanzausgleichs/
gerechterer Ausstattung nach Erfordernis (statt geografischer Lage)
- weitere
Verfolgung des grundgesetzlichen Ziels einer Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse
innerstaatlich/ regional/ lokal: in den Stadtteilen mit beherzter Kompensation
zur Emanzipation durch Bildungs-, Schul-, Wirtschafts- und Wohnungspolitik
- ausgeprägter
Präventions- und Kompensationspolitik insbesondere in der Bildungs- und Schulpolitik
durch Aufrechterhaltung/ Ausbau sozialer Infrastruktur
Mein fotografischer Beitrag bei diesem Thema liegt in der visuellen Dokumentation insbesondere von Segregationstendenzen ( s.a. unter Projekte „Gentrification“),
die Indikatoren für eine Fragmentierung der Stadtgesellschaft darstellen.
Ruhrgebiet
Was
macht das Ruhrgebiet zum „Ruhrgebiet“? Worin liegen seine Identität und
Unverwechselbarkeit? Mein
fotografisches Anliegen ist es, die Eigenart dieser Metropolregion abseits der
Klischees von „Taubenvadder“ und „Pommes rotweiß“ zu zeigen.
Die
unaufhörliche – auch bildliche – Wiederholung von Klischees ist möglicherweise
ein Hinweis auf die schwer fassliche Identität des Ruhrgebiets, nachdem prägende Faktoren wie Bergbau, Bier-
und Stahlproduktion verloren gegangen sind. Auch die langsame Deformation von
Bergarbeitersiedlungen durch Privatisierung, das Sterben von Straßenkiosken
infolge immer längerer Ladenöffnungen und geringerer
Schichtarbeiterbedürfnisse, die Eingrünung früher grauer, fremdkörperhafter
Zechenhalden und die Renaturierung ingenieurtechnisch verfremdeter Bäche in
einen Zustand „wie überall“ haben dazu geführt, dass die Kontur des Ruhrgebiets
zunehmend unschärfer wird.
Was
bleibt, ist zunächst die schiere Größe – von gut fünf Millionen Einwohnern und
knapp fünf Tausend Quadratkilometern, die sich eher von Google Earth als von
terrestrischer Fotografie darstellen lassen – und dann die Auffälligkeit, dass klassische
Merkmale der Europäischen Stadt im Sinne der Merian-Stiche weitgehend zu fehlen
scheinen. Andere Merkmale der Europäischen Stadt (s. Walter Siebel „Die
Europäische Stadt“ Frankfurt/M. 2004, S.11-50) sind aber im Ruhrgebiet umso
stärker erfahrbar:
- Das
Merkmal der Geschichtlichkeit: die
zeitliche Vertikale zur Horizontale der Landschaft, die wie in einem Palimpsest
Schichten vergangener Leben offenlegt. Im Ruhrgebiet tritt zur feudalen
Geschichte mächtiger Adelsgeschlechter und Klöster die Emanzipationsgeschichte
vieler Migranten aus wirtschaftlich und politisch bedrückenden osteuropäischen
Verhältnissen – und ihre Geschichte hier in einer über 100 Jahre dauernden Ausbeutung
von Mensch und Raum, immer noch zu spüren in der Dominanz industrieller
Großanlagen über die gartenstädtisch geduckten Arbeiterkolonien für das „kleine
Glück“.
- Das
Freiheitsversprechen der gegenwärtigen Stadt. Hiermit ist
weniger die Befreiung aus engen wirtschaftlichen und/oder politischen
Verhältnissen gemeint, sondern das Erlebnis freier, nicht festgelegter Räume in
einer überregulierten Welt, in der alles irgend wem gehört, in der alles irgend
einem Zweck gewidmet ist. Halden, aufgelassene Industriearale, aufgegebene
Bahntrassen des Ruhrgebiets sind Freiheits-, Spiel- und Möglichkeitsräume für
zeitgenössische Bedürfnisse – „Städte bestehen nicht aus Häusern und Straßen,
sondern aus Menschen und ihren Hoffnungen“ (Augustinus, zit. Siebel, S.14).
- Das
Merkmal der Urbanität als
persönliche Möglichkeit anonymer Selbstdarstellung in den pulsierenden Zentren
wie auch privater Verortung in den Sozialgeflechten des heimischen Quartiers: die Möglichkeit, die urbane Spannung zwischen
Öffentlichkeit und Privatheit als
Weltenwanderung aufgrund dicht nebeneinander liegenden „Welten“ und einer bisher unglaublichen persönlichen
Mobilität zu erfahren.
Alle
drei Aspekte – Geschichtlichkeit, Freiheit, Urbanität – als Merkmale des
Ruhrgebiets in seiner besonderen
Ausformung als Europäische Stadt haben mich fotografisch beschäftigt:
- Zum
Thema der Geschichtlichkeit sind es
die festgehaltenen industriellen Relikte,
die eine vergangene Material- und Arbeitswelt vergegenwärtigen und die im Sinne
von Wabi-Sabi eine eigene Ästhetik der Vergänglichkeit erschließen
- In
den Bildern der Weite und fehlenden Festgelegtheit, in Bildern einer Melange
von Stadt und Freiraum, von Patchwork und „inneren Rändern“ (Christa Reicher)
mit der Begabung von Möglichkeitsräumen wird das Freiheitsversprechen aktuell und in kleiner Münze dargestellt
- Die
kulturellen Brennpunkte des Ruhrgebiets insbesondere in der Doppelfunktion
geschichtlicher Verweise wie Zollverein, Dortmunder U, Nordstern, Stahlwerk
Meiderich sind identitätsstiftende Symbole , die als Leuchttürme in einem Meer
von Wohnhäusern, Diskountern, Wäldchen, Tankstellen, Schulen, Verkehrsadern,
Sportplätzen, Parks und Gewerbegebieten
zu jener unverwechselbaren Urbanität des
Ruhrgebiets werden, deren Erhalt und kulturelle Intensivierung Bedingung für
die Entwicklungschance des Ruhrgebiets als „Sticky Place in slippery Space“
(Ann Markusen) ist.
Text folgt - bitte noch etwas Geduld.
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